Donnerstag, 31. März 2016

Wie alles begann, Teil 2

Im Teil 1 beschreibe ich, wie von zwei zu vier Rädern kamen. In diesem Teil geht es darum, warum wir mit genau diesem Fahrzeugtyp unterwegs sind, und warum es aussieht wie es aussieht.

Fahrzeugwahl

Es kam wie es kommen musste: obwohl wir auch seit 2006 fast jedes Jahr eine oder mehrere Veloreisen unternehmen (Spanien im Juni ist unser absoluter Favorit), entdeckten wir die zusätzlichen Möglichkeiten des automobilen Reisens. Über die Jahre erhärtete sich nämlich ein wichtiger Grundsatz für die Planung von Fahrradreisen: wir radeln dort, wo das Radeln erlebnisreich und angenehm ist. Wir scheuen nicht die Steigungen, die Distanz, die Höhe, die Schotterstrassen, die Abgelegenheit, etc.. Aber wir fahren nicht mehr im Regen (weil es absolut nichts bringt), wir pedalen nicht tagelang durch öde Landschaft oder im dichten Verkehr (weil uns die Zeit dafür zu schade ist), und wir meiden geografische oder klimatische Extreme (weil es sonst genügend lohnende Strecken gibt).

Piedra de Molino (3348 m.ü.M.), Argentinien, 2006

Mit einem Auto kann man die Grenzen von geografischen oder klimatischen Extremen weiter hinausschieben; kann öde Landschaften in Stunden bis Tagen statt in Tagen bis Wochen durchmessen; kann Schlechtwetterperioden nutzvoller verbringen, als einfach im Zelt auszuharren.

Ein Regentag als Fahrradfahrer im Zelt verläuft typischerweise so: 07:00 erwachen, es regnet — 08:00 erwachen, es regnet immer noch — 09:00 die Blase drückt, raus in den Regen, danach im Zelt frühstücken (es gibt weder Tisch noch Stuhl, Maximalhöhe ist 1.1 m), abwaschen, lesen — 11:00 die Ellenbogen tun weh, weiterlesen — 13:00 alles tut weh, Mittagessen — 15:00 alles tut weh, raus in den Regen — 16:00 zurück ins Zelt, Kleider und Schuhe sind nass, schreiben — 19:00 Nachtessen, abwaschen, lesen — 22:00 Nachtruhe; einschlafen geht nicht, weil die Bewegung fehlte.

Zelten an einem schönen Ort bei schönem Wetter ist kaum zu überbieten, Argentinien, 2006

Um herauszufinden, ob reisen mit einem Geländefahrzeug überhaupt unser Ding ist, nahmen wir Ende 2007 an einer geführten Tour in die Dünen von Libyen teil. Von der Tourleitung konnten wir einen älteren Toyota Landcruiser mit Dachzelt mieten. Das war für uns eine einmalige Gelegenheit, denn wir brauchten nur Kleider, Schlafsack und Lebensmittel für 17 Tage einzuladen, der Rest war vorhanden. Die Tour war der Hammer.




Wir lernten auf der Reise nicht nur Sanddünen-Fahren, sondern auch Folgendes:
  • Uns fehlte die Bewegung. Fazit: Fahrräder müssen mit
  • Camping ums Fahrzeug statt im Fahrzeug ist genau unser Stil (das schliesst die Küche mit ein)
  • Ein Dachzelt ist auch nur ein Zelt (und in der Regel kein besonders gutes), das sich bei Regen oder Kälte nicht sinnvoll nutzen lässt
  • Weniger ist mehr.
Das naheliegende Fahrzeug für unsere Nutzung (2007) war ein Landrover Defender oder ein Toyota Landcruiser. Es zeigte sich aber bald, dass diese Fahrzeugklasse bei gefordertem Fahrradtransport im Fahrzeuginneren — verbunden mit dem Anspruch, im Inneren gleichzeitig sitzen und schlafen zu können —zu klein ist. Nach unserer Erfahrung in Libyen schied das Dachzelt aus. Trotzdem finden wir campen im Zelt die schönste Art, die Nacht in der Natur zu verbringen, sofern nicht gerade ein Sturm tobt, oder der Atem an der Zeltwand gefriert.

Nationalparkcamp, Australien, 2014

Gefordert war also ein Fahrzeug, das
  • geografische Extreme meistern kann (schlechte Strassen, Sand, Wasser, grosse Höhen, lange Distanzen, etc.)
  • 2 Personen gegen klimatische Extreme und schlechtes Wetter schützt (Kälte, Nässe, Sonne, Wind, Staub, etc.)1;
  • für bis zu 7 Tage autark sein kann (Wasser, Lebensmittel, Treibstoff, Strom, etc.)2;
  • fliegende Insekten und gefährliche Tiere abhält (Fliegen, Mücken, Löwen, etc.);
  • bequemes Essen, Lesen, Schreiben, etc. im Innern ermöglicht3;
  • genügend Stauraum für notwendige Werkzeuge, Ersatzteile und Reiseausrüstung (inkl. 2 ausgewachsene Fahrräder) bietet4;
  • einbruchsicher und pannenresistent ist;
  • sich auf alle Kontinente verschiffen lässt;
  • so klein, wendig und geländegegängig wie möglich ist.
1 Für uns unwichtig ist die Möglichkeit, mehrere Tage in Schnee und extremer Kälte unterwegs zu sein. Sollte das einmal der Fall sein, ist es als Ausnahmesituation zu betrachten und Komforteinbussen sind akzeptabel.
2 Sollen mehr als 7 Tage Autarkie notwendig sein, ist es akzeptabel, dass durch zusätzlich mitgeführte Kanister, Boxen, etc. der Komfort eingeschränkt wird
3 Kochen im Innern soll den Ausnahmefall darstellen, Komforteinbussen sind dabei akzeptabel
4 Da wir als Radfahrer gerne gute Räder fahren, die man nicht einfach so dem Staub der Landstrasse aussetzt, und weil Südamerika mit einem gewissen Diebstahlrisiko immer ganz oben auf der Reiseliste stand, mussten die Fahrräder im Fahrzeug transportiert werden. Eine Dachbox schied aus praktischen Gründen rasch aus.

Im Container, Melbourne 2015

So viel zu den harten Anforderungen — sind nicht alle davon erfüllt, ist der Nutzen des Fahrzeugs für uns eingeschränkt. Hinzu kommen noch einige Komfortansprüche:
  • das Bett soll fest installiert sein;
  • bei gutem Wetter soll ein naturnahes Camping möglich sein;
  • bei heissem Wetter soll eine gute Belüftung gewährleistet sein (aber ohne Klimaanlage);
  • ein weltweites Servicenetz für das Basisfahrzeug soll vorhanden sein.
Die weitere Planung erfolgte auf Basis des von IVECO 2008 neu lancierten Daily 4x4. Während der Libyenreise sahen wir unseren ersten Bremach, allerdings “nur” das damals aktuelle Modell “Job / Extreme”, ein hässliches Entlein. Zudem schied Bremach als Exote für weltweites Reisen aus. Doch zeigte sich Anfang 2009, dass der Daily 4x4 im IVECO-Konzern selbst ein Exote war, weil er bei SCAM in Norditalien und nicht in den Werken von IVECO gebaut wurde. Der IVECO-Händler konnte die einfachsten Fragen nicht beantworten. Zusatztanks, Lagerung für Wohnaufbau, etc. hätte alles selbst aufgespürt oder entwickelt werden müssen.

Links ein normaler IVECO Daily, rechts ein Daily 4x4

Den projektierte Wohnaufbau setzte ich zur Visualisierung von Anfang an, weil es kein CAD-Modell des IVECO Daily 4x4 gab, auf ein CAD-Modell des Bremach T-Rex (gezeichnet mit SketchUp)


Zum Glück lancierte Bremach Ende 2008 das neue Modell “T-Rex”. Bis dahin hatte ich auch gemerkt, dass Bremach den IVECO-Daily-Motor und viele andere Teile von IVECO verbaut. Der Besuch bei Allrad Christ (Raab, A) im Juli 2009 überzeugte mich von diesem äusserst kompetenten Partner. Innert 10 Tagen war das Fahrzeug bestellt, das Anfang November 2009 geliefert wurde: fix und fertig mit Zusatztanks, Aufbaukonsolen, und vielem mehr. Genau einen Monat Zeit hatte Ormocar (Saarland, D) für den Wohnaufbau, fürs Lackieren reichte es aber nicht mehr. Zudem wusste ich gar noch nicht, welche Farbe und welches grafische Design es denn sein sollte. So blieb der Aufbau vorderhand weiss und kam erst in Melbourne zu Farbe.

Spezifikation der Masse (SketchUp)

Visualisierung mit offenem Dach (SketchUp)

Letzte Arbeiten bei Ormocar 

Die erste Fahrt mit dem neuen Wohnaufbau

Ich holte das Fahrzeug am 3. Dezember 2009 bei Ormocar ab, importierte es mit Oesterreicher-Nummernschildern in die Schweiz und überliess es Stuker (CH) für die technische Zulassung in der Schweiz. Am 10. Dezember flog ich für ein Jahr nach Australien. Am 14. Januar packte mein Bruder Manuel den T-Rex in Basel in einen Container, und wir nahmen ihn (den Bremach, nicht Manuel) am 25. März in Melbourne in Empfang. Jetzt begann erst richtig das Lernen und das Ausbauen, denn der Wohnaufbau war erst minimal ausgebaut: Bett, Staucontainer, Kühlbox, Wassertank. Kein Kocher, kein Licht, kein Mückenschutz, keine Standheizung, keine Vorrichtung für die Fixierung von Fahrrädern, kein Werkzeug, nicht einmal eine zweite Fahrzeugbatterie. Ein langer Weg lag vor uns.

Mittlerweile ist Kasbah fertig ausgebaut, hat 100'000 km, ist für drei Personen und 3'500 kg zugelassen. Er ist genau das Fahrzeug, das wir haben wollten, und ermöglicht uns die Reise durch die spektakulärsten Landschaften.

Cape York, Australien, 2015

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